- 13.5.2023 St. Marienkirche Husum
- 14.5.2023 Paulus-Kirche HH-Heimfeld
Mantua, 1610: Nach zwei Jahrzehnten am Hofe der Gonzaga in Mantua war Claudio Monteverdi äußerst unzufrieden. Mühsam hatte er sich in hochgedient vom suonatore di viola, dem Violaspieler, zum maestro della musica, dem Hofkapellmeister. 1601 wurde ihm diese herausragende Position übertragen. Da war die Welt des Komponisten auch noch in Ordnung. Der 34-Jährige war frisch verheiratet und erlebte die Geburt seines Sohnes Francesco, 1602 wurde dem gebürtigen Cremoneser das Mantuaner Bürgerrecht verliehen. Fortan war er verantwortlich für die gesamte Kirchen- und Kammermusik bei Hofe sowie für die musikalische Ausgestaltung von Turnierspielen, Balletten, Schauspielen oder Konzerten. Es war sein großes Glück, dass sein Arbeitgeber, Herzog Vincenzo I., ein in allen Belangen höchst sinnlicher Mensch war (so sinnlich, dass der Vater den neunzehnjährigen Spross zur Eheschließung nachgerade zwingen musste). Doch abseits seiner legendären amourösen Ausschweifungen förderte Vincenzo Gonzaga mit gleichermaßen kluger und glücklicher Hand die Künste und brachte damit die norditalienische Stadt zu kultureller Blüte. So holte er zu dieser Zeit auch den blutjungen Malter Peter Paul Rubens an den Hof.
Es ist also kein Zufall, dass hier L’Orfeo, eine der ersten Opern der Musikgeschichte, 1607 das Licht der Welt erblickte. Von nun an aber zerbrach das berufliche und private Glück Monteverdis. Wenige Monate nach der Uraufführung starb seine Ehefrau an der Schwindsucht. Der Wunsch nach einer schöpferischen Pause zur Verarbeitung der Trauer wurde dem Hofkapellmeister nicht gewährt, immerhin setzte der Komponist aber eine – äußerst moderate – Erhöhung seines nicht gerade üppigen Gehaltes durch. Nach diesen Erfahrungen tat er das, was Angestellte auch vier Jahrhunderte später in solchen Situationen zu tun pflegen: Er horchte sich auf dem Arbeitsmarkt um. Nach zwanzig trotz allen Ärgernissen sehr ruhmreichen Jahren wollte der 43-Jährige nun ganz nach oben: in den Vatikan zu Papst Pius V. In dieser Zeit fertigte er zum ersten Mal seit über 25 Jahren eine sakrale Komposition an: die Marienvesper. Warum er diesen schöpferischen Seitensprung wagte, wissen wir heute nicht endgültig. Es liegt aber nahe, dass Monteverdi mit diesem so überwältigenden Werk bei potentiellen Arbeitgebern für sich werben wollte.
Und dafür war die Vesper das perfekte Stück – oder doch nicht? Auf jeden Fall zeigte der Komponist, dass nicht nur Orpheus, der Protagonist seiner ersten Oper, mit der Macht der Musik die Herzen sogar der gefühllosesten Wesen zu erweichen vermochte: Auch er selbst konnte das, und wie! Gleich zu Beginn, die kurze Intonation ist eben verklungen, tauchen Chor und Orchester die Zuhörer in ein sphärisches Klangbad, das nicht von dieser Welt ist, ein tönendes Abbild himmlischen Glanzes. Große Oper, könnte man auch sagen. Die ganze Klaviatur der Renaissancemusik nach allen Regeln der Kunst zu bedienen war dem abtrünnigen Hofkapellmeister schon seit seiner Niederschrift von L’Orfeo viel zu wenig: Kraftvoll stieß er die Tür zu neuen Tönen, zu Unerhörtem auf. Worte formierten sich jetzt nicht mehr zu religiösen Formeln, sondern transportieren Gefühlswelten, Stimmungen, Regungen. Monodie, Einzelgesang mit schlanker Instrumentalbegleitung, lautet der Stil, der diese neue Form der Kirchenmusik ermöglicht. Zwischen die monodischen Passagen und die vielschichtigen Chorgesänge flocht Monteverdi auch instrumentale Zwischenspiele ein, die – inmitten sakraler Betgesänge – tänzerischen Charakter haben, mal leichtfüßig, mal ausgelassen, mal derb. Den päpstlichen Hof konnte er damit nicht beeindrucken, die erhoffte Einberufung nach Rom blieb aus. Dennoch hat er für die Nachwelt Musik geschaffen, so himmlisch und irden, so mystisch und lebensfroh, dass man sich ihrem Sog nicht entziehen kann. Und was wurde aus der Karriere Monteverdis? Zwei Jahre noch ertrug er stoisch die Routine am Mantuaner Hof, bis Vincenzo 1612 starb und dessen Sohn Francesco als neuer Herzog den Komponisten entließ. Nach einem Jahr des Rückzugs in seiner Heimat Cremona folgte der langersehnte berufliche Aufstieg: Die Prokuratoren von San Marco in Venedig übertrugen ihm eine der ehrenvollsten musikalischen Positionen in Italien: das Amt des Domkapellmeisters. Ein neues, glanzvolles Kapitel begann, das sich erst dreißig Jahre später schließen sollte.